Das ist der Lieblingssatz meines Sohnes. Schon immer.
Klar, hat mein Sohn kein Problem damit, sich zu hause lautstark auszuleben. Dafür sind ja „Zuhauses“ gemacht. Aber dennoch fällt mir seit Jahren auf, um genauer zu sein, seit er non- und verbal in Austausch mit anderen Menschen gehen kann oder besser gesagt gehen könnte, dass er Austausch mit anderen Menschen voll doof findet. Und oft würde er am liebsten ganz drum herum kommen. Sich gar manchmal am liebsten verstecken. Kurz, er ist schüchtern und zurückhaltend. Hat aber dabei das Problem, dass er wohl nach mir kommt. Soll heißen, er wirkt wohl rein äußerlich souverän und cool. So eine saublöde Kombi. Davon kann ich ein Liedchen singen. Und die führt leider zu allerei lustigen und auch unlustigen Missverständnissen.
Ein lustiges Missverständnis bei mir war einmal, dass eine Schulkameradin davon erzählte, dass eine Bekannte sie nach dem gut aussehenden jungen Mann, der sie mit dem Opel abgeholt hatte, gefragt hätte. Der war ihr Freund und ebenfalls in unserer Klasse. Ein paar Tage nach dieser Erzählung kam er zu spät und sagte dem Lehrer beim Eintreten, dass sein Kadett ’ne Panne gehabt hätte. In der Pause sagte ich dann zu ihm: „Ich denke du fährst ’nen Opel?!!“ Liebe Leute, ich weiß! Eine Woche später saß ich im Bus und bekam einen Lachanfall, den mir so schnell keiner nachmacht. Weil mir selbst klar wurde, was ich da gefragt hatte. Aber ich muss die Frage derart souverän rübergebracht haben, dass alle, die mit dabei standen, nicht im geringsten mit der Wimper gezuckt haben. Und wohl nur dachten, die nimmt den hops! Nope, eigentlich war das nur eine Oje-was-soll-ich-bloß-sagen-hier-so-stumm-rum-zu-stehen-ist-voll-peinlich-sag-jetzt-was-Frage kombiniert mit einem Die-Schule-fängt-zu-früh-an-ich-bin-noch-nicht-ausgeschlafen-Geist und einem Ich-bin-voll-in-der-Postpubertät-Unbehaglichkeitsgefühl.
Allerdings kann ich mich auch noch erinnern, dass mir eben unlustigerweise oft Arroganz vorgeworfen wurde. Und vielleicht auch heute noch wird. Nur ist mir das heute ziemlich Latte. Über meine „arrogante Art“ kann ich heute nur leise lachen. Eigentlich, muss ich gestehen, habe ich mich wahrscheinlich meistens einfach nur „nicht getraut“. Und wirkte daher abweisend. Eine nettere Person sagte es mal so: „Du wirkst immer so erhaben.“

Wenn ich meinen Großen beobachte, sehe ich, dass er auch so wirkt, als würde er über allem stehen. Als Mami erkenne ich aber die Unsicherheit in seinem Blick. Aber ich habe das Kind ja auch die meiste Zeit und kenne ihn von Anfang an. Zudem hat mein Sohn bei aller Schüchternheit einen sehr offenen Ausdruck im Gesicht. Andere mögen ihn schnell. Kennen ihn schnell beim Namen. Gehen gerne auf ihn zu. Quatschen ihn an.
Er schreckt zurück. Seine Einstellung: Die/ den kenn‘ ich doch gar nicht!
Schon als wirklich kleines Kind hat er, nachdem ihn andere Kinder wildfreudig grüßten und zuwinkten, ausschließlich auf den Boden gestarrt. Als wir ihn nach seiner Reaktion fragten, kam die Antwort: „Aber den kenn‘ ich doch gar nicht richtig. Den kenn‘ ich doch erst seit drei Wochen.“ Wir Eltern waren verwirrt. Heißt es nicht immer Kinder seien so schnell im Freundschaften schließen? Dann fühlten wir uns auch noch schlecht, weil wir die Enttäuschung im Gesicht des anderen Kindes sahen.
Richtig doof ist dann, dass man irgendwie als erstes das Gefühl bekommt, dass andere Kind befriedigen zu müssen. Man hat die Tendenz sein eigenes Kind in einen Kontakt zu drängen, den es offensichtlich jetzt nicht will. Hier kommt dann irgendwie die eigene Erziehung voll zum Zug. Aber wenn ich an die denke, dann steh‘ ich zwischen den Stühlen.
Besonders eine Erinnerung ist haften geblieben. Und zwar die, in der mich meine Mutter immer einen Stoffel nannte. Das war ein ganz schlimmes Wort für mich. Weil es ganz furchtbare Gefühle in mir auslöste. Meine Mutter nahm mich schon in Sichtweite einer herankommenden Person auf der anderen Straßenseite ins Gebet, „dass ich jetzt aber schön grüßen müsse! Und ich solle und wolle ja kein Stoffel sein! Mein Bruder hätte das immer so schön gemacht, dann bekomm‘ ich das doch gefälligst auch hin! Das wäre voll peinlich, wenn sie so einen Stoffel als Kind hätte! Ein Kind, das den Mund nicht auf bekommt! Sei kein Stoffel, grüß recht schön, wer immer grüßt, wird gern gesehen.“ Ganz ehrlich, ich hatte als Kind Herzrasen. Und bei dem Spruch bekomm ich noch heute das Kotzen. Vor allem, er suggerierte mir als Kind, ich trau mich nicht Hallo zu sagen, also kann mich keiner leiden. Pure Panik.
In diesem Fall gibt es für mich als Mutter in einer solchen Situation nur eine Entscheidung. Auch wenn ich immer noch das Hadern in mir bemerke. Die Entscheidung für meinen Sohn. Und das andere Kind muss mit seiner Enttäuschung zurück bleiben. Was ich, ehrlich gesagt, wirklich überhaupt nicht ok finde. Also laufe ich mit ihm weiter und erkläre meinem Großen währenddessen in entspanntem Tonfall, „dass es höflich und schön ist, wenn man grüßt. Dass sich die Leute freuen, wenn er ihnen durch einen Gruß seine Beachtung schenkt. Bei manchen Erwachsenen ist es sogar toll, wenn er die Hand reicht. Und dass er sich doch auch freut, wenn die anderen Hallo zu ihm sagen.“ Oft vergebens. Denn in ihm lösen diese nonchalant dahingeplätscherten Sätze wohl auch schon Herzrasen aus. Wie mache ich es also am besten, dass ich meinem Kind gesellschaftliche Umgangsformen beibringe, ohne es zu quälen?
Und nun zeigt sich auch bei meiner Tochter, jetzt wo sie so langsam auch verbal kommunizieren kann, dass dieses ganze Klammern nur pure Unsicherheit anderen Menschen gegenüber ist. Zu hause ist sie der große Zampano, auf der Straße das kleine Mäuschen. Hat sie gerade noch lustig mit mir geplappert. Will sie beim Ankommen eines anderen Erwachsenen auf meinen Arm. Krallt sich an mir fest. Schweigt und blickt hochgradig konzentriert in die Gegenrichtung. Bloß nicht ins Gesicht desjenigen schauen, der sie oder mich anspricht. Ein Gesprächspartner nahm es mal mit Humor und meinte: „Na, zeigst du mir die kalte Schulter?“
Das war zu dem Zeitpunkt wirklich als Spaß gemeint, aber trotzdem fiel mir anhand dieser Aussage auf, dass wir Erwachsenen viel zu sehr von uns aus gehen. Wir erwarten in der Tat von Kindern „vernünftiges“ Verhalten. Oder unterstellen ihnen in ihrem Tun eine Absicht. Es gibt ja tatsächlich eine Mutti, die davon überzeugt ist, dass meine Tochter sie noch nie leiden konnte. Und nun deshalb meine Tochter voll doof findet. Über das Ding mit den Sympathien hab ich ja schon mal geschrieben. Das ist halt so. Aber liegen diese „Unterstellungen“ nicht einfach nur in unserem erwachsenen Empfinden begründet?! Dieses Empfinden, das Kinder noch gar nicht haben. Ganz schön doof, oder?
Lasst es mich mal anders formulieren. Die armen Menschen, die sich von meiner Tochter voll miste behandelt fühlen. Diese über 30-jährigen oder älter, die von einer anderthalbjährigen mit ihrer Nichtbeachtung voll gedisst werden. Voll die kalte Schulter gezeigt bekommen. Weil die das „Dutzidutzi“ nicht gut genug für sich empfand! Arrogantes Kind. Öhhh, wenn man das liest, kommt man sich als Großer plötzlich doch ein bisschen bekloppt vor, oder?
Andererseits steht man da ja auch immer als Eltern ein wenig in Bedrängnis. Man spürt förmlich die Erwartung der anderen, dass das Kind jetzt „funktionieren“ soll. Die eigene Erziehung geifert mit gefletschten Zähnen, um zuzuschnappen. Und bei mir persönlich wird der Herzschlag etwas höher, weil die Stoffel-Gedanken in meinem Hirn kreisen. Und in dem Bewusstsein, wie sich meine Mutter wohl fühlte, so ängstlich, um dermaßen auf mich einzureden, versuche ich, im Gegensatz zu ihr, ganz tief durchzuatmen und mir zu sagen: „Dann bin ich eben einer! Ein Stoffel. Und meine Kinder auch.“

Ich meine, hier in Berlin ist man ja eh glücklich, wenn man Kinder hat, die nicht mit jedem mitlatschen. Und sich ungern anquatschen lassen.
Worüber ich mir weiterhin Gedanken mache, ist die Tatsache, dass sich meine Kinder unter Umständen selbst Chancen nehmen. Zum Beispiel kam bei einem Lehrergespräch heraus, dass mein Großer ab und zu unaufmerksam ist. Wir, Lehrer wie Eltern, sind uns einig, dass ist voll normal in dem Alter und an sich kein Drama. Blöd ist, dass er sich nicht traut nachzufragen, wenn er etwas nicht gehört oder eben verstanden hat. Und hier sind wir beim Problem. Denn dann macht er lieber irgendetwas. Was nicht so verlangt war. Und ist dann frustriert. Meistens erzählt er mir davon, wenn es ihn zu sehr bedrückt. Aber was ist in dem Alter, in dem Kinder nicht mehr ganz so gern mit ihren Eltern reden? Vielleicht ist er aber bis dahin auch etwas selbstsicherer. Die Hoffnung darauf besteht. Denn ich bemerke auch schon Phasen, in denen er mal seine Ideen offen allen verkündet.
Mir bleibt nichts übrig, als entspannt zu bleiben und meinen Kindern das Gefühl zu geben, dass sie sich selbst vertrauen dürfen. Ab und zu erzähle ich ihnen, was höflich wäre. Und frage sie, was sie an dem Umgang, den andere ihnen gegenüber haben, am besten finden. Und ob sie das dann bei den anderen auch so machen möchten. Dann nehme ich mir auch vor, wenn ich mit meinen Zwergen unterwegs bin, entspannter zu werden. Wenn sie in dem Moment keine Lust auf jemanden haben, dann ist das so. Sie sind Kinder. Und charming genug, um das an einem weniger schüchternen Tag wieder wett zu machen. Die Erwachsenen, die das zu eng sehen, haben meist ein ganz anderes Problem. Wahrscheinlich ebenfalls mit ihrem Selbstbewusstsein. Wenn sie schon ein schüchternes Kind aus dem Takt bringt?! Man fühlt sich ja tatsächlich auch immer am meisten von seinem „eigenen Spiegelbild“ angegriffen. Aber das ist ja nicht die Sache von meinen Kindern und mir. Also stoffeln wir lustig herum, wenn es uns gefällt. Und ich habe mir jetzt angewöhnt alle freundlich zu grüßen, damit meine Kids sehen, ist nichts dabei. Mami macht das auch. Und die anderen freuen sich darüber. Meine Mutter wäre stolz auf mich. Und als Vorbild für meine Kinder klappt es auch ganz ohne Herzrasen.

Ach übrigens, wenn ich auf dem Trampolin stehe, bin ich ziemlich laut und extrovertiert. Da glaubt mir niemand, dass ich eigentlich zurückhaltend bin. Da kann man es aber auch raus lassen auf dem Ding.
In diesem Sinne freue ich mich auf euch. Ob als Teilnehmer oder Leser.