Die alltägliche Inkonsequenz

Hier meine ich nun nicht unbedingt das, was mich tagtäglich in der Erziehung meiner Kinder heimsucht. Wobei ich zugeben muss, dass ich bei meiner Tochter tatsächlich an Tagen, in denen schon die vorangegangene Nacht alles andere als schlafreich gewesen war, mal mehr als fünf Augen zu drücke und ihr ihren Willen lasse. Um der lieben Ruhe willen. In dem Fall meine Ruhe. Und ja, ich weiß, das ist pädagogisch vollkommen unwertvoll. Aber das sind auch die Momente, in denen ich denke: da muss ich halt in 12 Jahren noch mal in Ruhe mit ihr drüber reden. Hauptsache sie ist jetzt gerade mal zufrieden und still. Zereisst mir genüsslich und mit Vergnügen die halbe Taschentuchpackung und ich genieße den Moment.

Und genau hier bin ich wieder bei der Inkonsequenz. Wenn wir mal beim Urschleim anfangen, warum habe ich überhaupt Taschentuchpackungen? Auch noch die, die in kleine extra Plastikhüllen gepresst sind? Weil sie so schön praktisch sind! Man kann sie einstecken. Mit Kindern braucht man eh immer welche. Wehe man geht zwischen Oktober und März ohne los. Wegen der Kita-Dauer-Rotzenase. Und wehe man geht zwischen April und September ohne los. Ab März hat nämlich wieder der Eismann offen.

Außerdem komme ich mit Schnodder nicht klar. Popo abwischen und so. Alles gut. Aber Schnodder. Das ist nicht mein Gebiet und ich muss mich immer ganz arg zusammenreissen. Ich habe tatsächlich auch schon über Besuchspausen von Freunden in den besagten Monaten März bis Oktober nachgedacht. Lieber kau ich auf einem Quadratmeter Styropor und stricke mir einen Pulli aus dem Material. Und jeder, der mich nun persönlich kennt, kann nun ganz genau bemessen, wo der Punkt Schnoddernase bei mir rangiert. Ich habe auch schon missfällige Blicke von Mamis kassiert, weil ich immer ein ganz betretenes Gesicht mache, wenn ihre „freilaufenden“ Kinder mit meinem spielten.

Liebe Mamis, macht was ihr wollt. Und ich bin sicher nicht die, die das Gesicht verzieht, weil sie hier einen auf Etepetete macht. Ne, ich verziehe das Gesicht, weil ich kurz vorm …. bin. Und den Anblick möchte ich euch und euren Kindern, sowie meinen ersparen. Zum Glück scheint meine Tochter nach mir zu kommen und verlangt schon jetzt immer nach einem Taschentuch. Der Gebrauch ist zwar noch ausbaufähig. Aber wir waren ja auch bei Inkonsequenz. Und warum ich hier unglaublichen Müll produziere, als lieber ein Stofftaschentuch, das ich waschen und wieder verwenden könnte, zu benutzen, das kann sich jetzt jeder nach meiner Erzählung oben auch denken.

Da ich ja im Prenzlauer Berg lebe, steht es da ja schon im Existenzberechtigungsvertrag für diesen Stadtteil, dass ich voll bio sein sollte. Jetzt lacht mal, ich bin es. Jedenfalls ganz tief in meinem Herzen. Es ist ja auch ein P’Berg-Mami-Klischee, das ich irgendwo mit viel Leidenschaft erfülle. Aus Überzeugung. Und für meine Kinder. Für mich. In unserem Rahmen. Und am liebsten ohne große missionarische Reden auf dem Spielplatz. Oder gerne ohne Kommentar, immer dann, wenn ich nicht gefragt bin.

Denn genau bei denen, die das so gerne machen. Mit Rat und Tat zur Seite stehen. Die, die immer wissen, wie es geht. Wie es zu funktionieren hat. Bei denen muss ich mich erst einmal bedanken. Danke, ihr habt mich darauf gebracht. Seit ich Mutter bin, bin ich die biologische Inkonsequenz schlechthin. P’Berg hin oder her. Und jetzt werde ich ganz, ganz frech. Ihr auch!

Mein altes Ich „macht die Augen zu und durch“ seit ich Kinder hab. Auch wenn das schlechte Gewissen ständig schimpft und an mir nagt.

Das ist eine dreiste Behauptung, ich weiß. Aber ganz ehrlich in meinem Leben ist mir ja auch schon oft vorgekommen, dass die, die am lautesten schreien, die schlimmsten sind. Und vielleicht sollten wir alle mal ganz still sein und uns erstmal bei uns umgucken. Da ich das bei euch nicht kann und auch gar nicht möchte, nehme ich mich einfach selbst als Beispiel. Das tut gut. Ist besser als mit dem Finger auf andere zu zeigen. Und keine ginge besser als ich. Ich lebe im P’Berg, stehe auf bio und bin Mutter. Und vor allem weiß ich, was 24 Stunden bei mir abläuft. Bekomme also nicht nur einen Auszug mit, den ich dann nur halbwissend kommentieren könnte. Die Hauptkriterien sind hiermit erfüllt. Und jetzt machen wir das lustige Handhebespiel. Wer wenigstens einmal die Hand hebt, ist so inkonsequent wie ich. Der Gewinn ist: Man muss ab jetzt keinem mehr ungefragte Ratschläge geben. Sondern kann ganz entspannt den Spielplatzaufenthalt genießen.

Los geht’s.

Meine Kinder wissen was Zucker ist,

obwohl ich das Zeug hasse, wie die Pest und es am liebsten von jedem fern halten möchte. Aber trotzdem ist ein Eis mit Kumpels eher Genuss als Gift. Und ja, manchmal hilft es auch als Bestechungsmittel. Ich wollte ja ehrlich sein. Ich beruhige mich selbst damit, dass schon früh klar war, dass Gift in Maßen auch eine heilende Wirkung haben kann. In dem Fall für meine Nerven.

Ich benutze Wegwerfwindeln,

weil ich keine Lust habe, die Bomben auszukochen. Ich wurde einmal beruhigt, in dem mir jemand erklärte, dass diese speziellen Reinigungsfirmen, die das für so faule Mamis, wie mich übernehmen, immens viel Wasser verbrauchen. Also muss ich mit dem Gedanken, dass die Windeln meiner Kinder noch in 300 Jahren da sein werden, leben. Und hoffen, dass die Info mit dem Wasser stimmt, damit ich mich ein bisschen selbst beruhigen kann.

Wir produzieren viel zu viel Plastikmüll.

Ständig zu viel. Plastikmüll.

Obwohl ich schon seit Jahren bei Platiktüten exorzistische Anfälle bekomme und mein Mann mich liebevoll seine Beutel-Frau nennt, werde ich irre, wenn ich in unseren Plastikmüllbehälter schaue. Auch die Nutzung von Tupperware und Konsorten scheint keine Lösung zu bringen. Hier sind wir auch wieder bei den verpackten Taschentüchern. Stilleinlagen sind der Horror. Zum Glück brauche ich sie nicht mehr. Man bekommt ja einen Probesatz von der Klinik und ich war dahingehend nicht vorbereitet. Ich hatte in meinem Schwangerschafts-Yumm nur bis zur Geburt gedacht. Also hatte ich diese Anschaffung voll verpeilt. Daher latschte ich nach der Geburt meines Sohnes zum Drogeriemarkt und lud mir ohne weiter nachzudenken, anders kann man das nicht nennen, die Marke, die ich von der Klinik kannte, in den Einkaufskorb. Mein Blick fiel noch auf eine Aufschrift auf der Packung. Die lautete in etwa: „Extra einzeln verpackt für mehr Sauberkeit und praktisch für unterwegs.“ Es war ein Graus. Darauf habe ich mir sofort waschbare bestellt. Zu denen gibt es kleine Täschchen aus Stoff. Man kann sie also auch mitnehmen.

Wir haben zu viele Handys.

Ok, ich bin nicht der technische Part in unserer Familie und nutze die alten Smartphones meines Mannes. Aber so richtig alt werden sie auch nie. Hier denke ich tatsächlich an die armen Kinder in den Coltan-Minen, die dafür sorgen, dass wir mit beiden Ohren telefonieren, mit der rechten Hand noch daddeln und mit der linken Hand Musik abspielen lassen können. Da geht es mir nicht gut bei und trotzdem bekomme ich schwerwiegende Zuckungen, wenn ich ohne Telefon das Haus verlasse.

Wir haben ein Auto.

Zum Glück noch keinen SUV. Ich würde mich im Kreis drehen. Aber trotzdem eine dicke Kiste. Wegen der Kinder und der Reisen mit ihnen. Und ich muss zugeben, dass ich, die ihr Auto mit dem Umzug nach Berlin abgegeben hat und voll aufs Rad umstieg, jetzt mit Kindern diese Art Luxus genießt und schnell dabei ist, wenn mein Mann sagt: Lass uns doch mit dem Auto fahren. Natürlich nicht zum Bäcker ums Eck. Aber dennoch Wege, die zu Fuß 30 Minuten dauern. Ich finde das kann man mal laufen und setze mich dann doch auf den Beifahrersitz.

Ich kaufe auch mal Kinderklamotten bei Hasi&Mausi.

Und weiß, dass das sooo Miste ist, weil in Indien und Bangladesch dafür andere zu unglaublich miesen Bedingungen arbeiten und leiden müssen. Gerade bei den schnell ausgewachsenen Babyklamotten wäre Second Hand voll das Ding und trotzdem finde ich leichter den Weg zum Schweden als in den kleinen Second Hand – Laden, ein paar verwinkelte Gassen weiter.

Auch eine schöne Second Hand – Lösung.

Ich bin bei meinem Sohn auch auf diese Quetschi-Chose reingefallen.

Nachdem mein Sohn anfing Obst und Gemüse zu verschmähen und einmal bei einem Kumpel einen Quetschi bekam und ich sehen konnte: He, er trinkt das Zeug! Wurde bei uns Quetschi-Town eröffnet. Wenn ich jetzt ironisch wäre, dann würde ich sagen: Ich hätte auch Kaffee aus Kapseln trinken können, um den Zustand zu perfektionieren. Zum Glück war ich aber, was den Kaffee angeht, etwas vernünftiger. Jetzt habe ich uns wiederverwendbare Quetschibeutel besorgt. Der Mixer steht ja eh nur rum. Allerdings hat meine Tochter keinen Bedarf. So kommen wir eventuell dieses Mal um diese Phase drum herum.

Nur ich weiß, wie die Lichtschalter gehen.

Es ist ein Elend. Und irgendwie habe ich verpasst es meinem Sohn beizubringen. Mal sehen, ob es bei meiner Tochter klappt.


Man könnte diese Ausführungen noch unendlich weiter schreiben, nur wird der Beitrag dann ein Buch. Letztendlich geht es darum, dass allein schon mit dem Mutterdasein die Inkonsequenz bei mir Einzug hielt. Gerade dann, wenn man doch durch die eigenen Kinder noch wacher wird für Umweltschutz. Das muss und musste ich mir klar machen. Und andere vielleicht auch. Zum einen einfach, um für unsere Kids eine Welt zu schaffen, in der sie noch leben können. Und zum anderen vielleicht, um ehrlich zu uns zu sein und andere, die es anders machen, nicht ungefragt mit unserer „Kompetenz im richtig machen“ zu nerven. Denn ich bin überzeugt, wir geben alle unser bestes, aber „richtig“ oder „falsch“ sind ja eh sehr relative Begriffe.

Außerdem gebe ich viel lieber ungefragte Ratschläge und Anweisungen an meine Kinder 😉 . Zum Beispiel Mülltrennung. Auch wenn ihnen erzählt wird, dass das eh wieder alles zusammen kommt. So sage ich ihnen gerne, dass ich persönlich gerne trenne. Viel lieber, als gleich zu sagen, das bringt nichts. Weil mir das zu einfach ist. Und ich es so wenigstens versucht habe, es besser zu machen. Und sie mal überlegen sollen, wie es wäre, wenn man sich seine Faulheit nicht mit der Aussage „es bringt nichts“ legitimiert. Dann würden es viele versuchen. Und dadurch würde es funktionieren. Denn aus vielen kann ein Ganzes werden. Das findet mein Sohn auch voll logisch.

Es gibt auch Dinge, die ich wirklich nicht so gut gemacht habe. Zum Beispiel habe ich meinem Sohn Geschichten über Nestlé erzählt, die ihn nun immer weinen lassen, wenn er ein Eis dieser Firma gegessen hat. Leider wird in allen Berliner Parks, Freibädern und etc. ausschließlich Nestlé angeboten. So kommt es nach einem Schulausflug schon mal zu einem schuldbewussten Schluchzen am Abend. Das hätte ich wirklich sensibler machen können.

Da muss ich wohl ehrlich sein. Aber diese Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist wahrscheinlich der erste Schritt in Richtung Besserung. Auch wenn ich mir tagtäglich über meine Inkonsequenz die Haare raufe. Den Ärger hüpf ich mir dann raus.

In diesem Sinne freue ich mich auf euch. Ob als Leser oder Teilnehmer beim „raus“hüpfen, wenn mal wieder alles gegen den inneren Willen lief.

Und wenn es nun wirklich Mamis gibt, die kein einziges Mal die Hand heben mussten, dann möchte ich euch kennenlernen und wissen wie ihr es schafft.


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