Irgendwann in den 90ern wurde in Berlin berechnet wie viele Kinderärzte „am Platz“ benötigt werden. Noch heute wird diese Statistik von Ämtern gerne zu Rate gezogen und laut ihr haben wir hier sogar ein Überangebot an Kinderärzten. Leider wurden allerdings in den 90er Jahren weniger Kinder geboren. So wurden es also im Laufe der Zeit immer mehr Kinder. Aber eben nicht mehr Ärzte. Wer sich als werdende Mami bereits mit einer Hebammensuche auseinander setzen musste, weiß jetzt sicherlich schon worauf ich hinaus will. Und ich gehöre zu den glücklichen Muttis, die noch eine Kinderärztin bei Kind Nummer Zwei bekommen hat. Ich konnte die Entwicklung aber gespannt verfolgen, denn während bei meinem Sohn noch alles „recht“ easy war, so ist es heute zum Haare raufen.
Aber wie gesagt, was jammere ich? Ich gehöre zu den Glücklichen mit Kinderärztin für beide Sprösslinge.
Allerdings kann ich nicht immer sagen, ob meine Wahl eine glückliche war. Eigentlich ging es eher darum eine medizinische Versorgung zu gewährleisten, wenn denn mal was ist. So etwas wie einen Wunscharzt für meine Kinder zu haben, ist Utopie. Wobei ich auch Eltern kenne, die vom Prenzlauer Berg gerne nach Wilmersdorf fahren. Ein kleiner und gewagter Vergleich von mir, das bedeutet hier so etwas wie einmal von München nach Augsburg oder von Ulm nach Stuttgart, um seinen Zwerg versorgt zu wissen. Ich rechne einfach den Stadtverkehr als Kilometer an. Wie gesagt, der Vergleich ist recht keck, aber ein bisschen Drama hilft ja auch immer bei Beschreibungen einer Situation. Und wenn wir ganz ehrlich sind, Eltern und Kinder, die auf dem Land leben, müssen oft solche Strecken fahren. Und das ist wirklich ein Drama.

Da ich mir sicher bin, dass unsere Ärztin keine schlechte Ärztin ist, die sich mit Filzstift selbst ihre Doktorarbeit gemalt hat, verzichte ich auf den Weg in einen anderen Stadtteil. Und versuche als Mami über ihre manchmal fehlende Empathie bei den kranken Rotznäschen zu stehen. Ich versuche mir immer zu sagen, dass sie schon ungefähr 500 davon am Tag hatte. Und da geht bei mir ja auch mal das Mitgefühl flöten. Vor allem wenn ich an den Zeitdruck denke, unter dem sie die Kinderschar versorgen soll. Und, na ja, auch bei dem Gedanken an die Tatsache, dass sie sich in ihrer Fachrichtungswahl nicht unbedingt für die kooperativsten Patienten entschieden hat, versuche ich meine Mamagefühle weg zu atmen, wenn ich meinen kleinen, kranken Wutbrocken mal wieder aufs Diagnosefließband stelle.
Das mit dem Fließband meine ich leider ernst. Also bei meiner Ärztin gibt es jetzt kein Fließband im wörtlichen Sinne. Aber dennoch ist es so: Aufgerufen werden. Ab ins Behandlungszimmer. Kurzer Blick. Ohren, Hals, Nase angucken. Abhorchen. Diagnose und raus. Ungefähr 5-7 Minuten. Fertig. Natürlich ist die Zeitangabe jetzt ohne Wartezeit.
Tatsächlich überlege ich mir zehnmal, ob ich nun zum Arzt gehe oder nicht. Ganz einfach, weil die Chance recht groß ist, später genauso klug wie vorher heraus zu kommen. Allerdings hat man sich dafür aber einen neuen Infekt im Wartezimmer eingepackt und mit nach hause genommen. Hüstel. Natürlich ist das auch nicht immer so. Aber ein bisschen schon.
Meine Tochter ist ja nun recht häufig krank. Eigentlich müsste ich die Tage, an denen sie vorbehaltlos fit war rot markieren. Seit sie in die Kita geht, hat sie eine Dauerrotznase und immer mal wieder einen fiesen Husten. Eine Assistenzärztin meinte ja mal zu mir, dass manche Kinder zwei Jahre bräuchten, um sich in der Kita nicht alles reinzuziehen, was da so an Bakterien und Viren im Angebot steht. Aber ich fühle mich, als würde ich ständig einen Drahtseilakt wagen. Wie klingt der Husten? Wie sieht die Rotze aus? Richtig krank? Ansteckend? Einfach nur leicht erkältet? Top fit? Kita? Nicht Kita? Das ist hier die Frage. Ich weiß es einfach nicht. Oder anders, ich bin oft sehr unsicher. Noch während meiner Elternzeit konnte ich ja ohne Problem dazu tendieren, das Kind einfach mal daheim zu lassen. Aber seit ich wieder arbeite, überlege ich doppelt. Denn es ist in der Tat nicht so einfach, da meine Tochter selbst mit Fieber nicht zu stoppen ist. Sie verhält sich in jeder Lebenslage als wolle sie den Mount Everest besteigen. Oder etwas anderes Abgefahrenes in der Art.

Mittlerweile habe ich so „Psychogeräusche“ in meinem Muttergedächtnis abgelegt. Wenn der Husten so oder so klingt, dann geht’s zum Arzt. Oder klar, auch wenn sie Fieber hat. Da kann sie mir auch ein Musical hinsteppen. Da muss sie daheim bleiben. Und trotzdem ist die Unsicherheit mein ständiger Begleiter. Bei jedem kleinen Schnüpperchen. Was ist, wenn sich mein Mutterinstinkt mal täuscht und ich das Kind so richtig krank in die Kita bringe?
Denn in der Tat ist es meiner Tochter und mir eben auch schon passiert, dass mein Instinkt sagte: „Wir müssen zum Arzt, das klingt nicht gut und fühlt sich nicht gut an.“ Und wir zwei dann für unsere paar Minuten im Sprechzimmer standen und gesagt bekamen: „Klingt schlimmer als es ist.“ oder „Sie ist nicht ansteckend und verhält sich ja fit, also kann sie in die Kita.“ Schon zweimal bekam sie nach so einer Diagnose Fieber in der Nacht. Einmal war es ganz doof, da hielt sie noch eine knappe Woche durch. Da ging ich dann tatsächlich jeden zweiten Tag zum Arzt und wurde immer wieder mit kitatauglichem Kind nach hause geschickt. Am fünften Tag entschied sich meine Tochter dann doch für einen Fieberschub, der dann eine Woche anhalten sollte. Ich muss die Ärztin auch ein wenig in Schutz nehmen. Denn selbst die Erzieher konnten an ihrem Verhalten nichts festmachen. Aber die sind auch wiederum keine Ärzte. Eben wie ich. Und bei allem Instinkt und ungutem Gefühl, wenn ich eben zu einem Arzt gehe und der dann sagt, dass alles soweit ok ist, dann habe ich das Gefühl, er oder sie wird es schon wissen, immerhin ist das ihr Fachgebiet. Auch wenn mein Gefühl ein schlechtes dabei ist. Und den Ärzten auch einfach die Zeit fehlt.
Das haben mein Mann und ich tatsächlich greifbar zu spüren bekommen, als wir in besagter „Fieberwoche“ die Faxen dicke hatten und uns dazu entschlossen Geld in einen privatärztlichen Bereitschaftsdienst zu investieren. Das war eine Behandlung, wie ich sie noch aus meiner Kindheit kenne. Mit Zeit für den Patienten. Und tatsächlich, nachdem diese Ärztin ihren 45 minütigen Hausbesuch bei uns beendet hatte, folgte darauf die erste Nacht, in der wir alle schlafen konnten und die Genesung unserer Tochter begann.
Mein Mutterinstinkt ist wirklich schon vollkommen irritiert, wegen dieser ganzen Vorkommnisse. Erst letzte Woche war es wieder mal so weit und ich nahm mein Kind bei der Kitaabholung hustend in die Arme. Es war der „abgespeicherte Husten“, der bei mir gleich ein „o-ha“ auslöste und mich zu unserer Ärztin gehen ließ. Diagnose: Ja ist eine Bronchitis, aber kein Fieber, daher ab in die Kita mit der Kleinen. Und wieder bekam meine Tochter in der Nacht Fieber. Ich hab mir den Weg zu unserer Ärztin am folgenden Tag gespart. Meiner Tochter zwei Tage Ruhe daheim verpasst. Und trotzdem verfolgt mich dieses eklige schlechte Gewissen, weil ich mich frage, wie oft ich sie wohl als kleine Bakterienschleuder unwissend in die Mitte der anderen Kitakinder gesetzt habe? Denn wie gesagt, sie hüstelt seit ich sie kenne. Und seit sie in der Kita ist, noch ein bisschen lieber.

Was mache ich? Das Kind daheim lassen und es dann in 18 Jahren zum Abi anmelden? Geht ja auch nicht. Da bleibt mir nur mit den Augen zu rollen, tief durchzuatmen, auf meinen Instinkt zu vertrauen und bei leichten Sachen mit Hausmitteln zu arbeiten. Wahrscheinlich ist der Mamiinstinkt wirklich das beste was uns passieren kann. Er hatte ja bisher auch immer recht. Nur dass ich mich dann durch eine ärztliche Aussage verwirren ließ. Wenn jetzt also noch die Nummer mit der Zusammenarbeit zwischen Mutterinstinkt und Arzt optimal klappen würde, dann wäre es ein Träumchen. Aber natürlich weiß ich auch, dass die Ärzte viel mit überbesorgten Eltern zu tun haben. Wenn ich dann komme und ihnen sage: „JETZT! ist was!“, dann haben sie genau diesen Satz wahrscheinlich auch schon 500 Mal an dem Tag gehört. Was für eine Misere.
Da hilft dann nur gesund bleiben. Bei meiner Tochter hoffe ich, dass der Sommer endlich wirkt. Für meine Gesundheit stelle ich mich aufs bellicon®. Und gebe mich dort instinktiv meinen Bewegungen hin. Wenn ich da meinem Instinkt vertraue, dann muss er sich ja auch bei einem kindlichen Krankheitsfall nicht aus dem Takt bringen lassen. So hole ich mir dann kein schlechtes Gewissen beim Arzt, sondern entscheide dann am besten gleich souverän.
In diesem Sinne freue ich mich auf euch. Ob als Teilnehmer oder Leser.