Schlimmer geht immer oder Schule 2.0

Ich zäume das Pferd mal von hinten auf. Heute nacht schrieb ich in einer Wachphase und zum Glück nur in Gedanken der Lehrerin meines Sohnes eine Email im Duktus einer 15jährigen. Als ich meinem Mann davon erzählte, war der heilfroh, dass das nur in meiner Phantasie geschehen war. Und beschwor mich, diese Idee nicht in die Realität umzusetzen. Auch wenn er meinem Argument, dass auf eine solch verfasste Email einer Mutter, sicher eine Reaktion folgen würde, zustimmen musste. Davon bin ich überzeugt, denn das kommt sicher nicht aller Tage vor, dass Erziehungsberechtigte sich die Sprache von Pubertierenden aneignen, um sich Gehör zu verschaffen.

Um jetzt doch mal von ganz vorne anzufangen. Ich finde die Lehrerin meines Sohnes total nett. Und mein Großer mag sie auch. Dennoch scheint sie unglaublich unstrukturiert oder vielleicht auch einfach zu festgefahren zu sein. Das soll heißen, dass ich keine klare Linie erkenne, in dem was sie sagt und dann aber tut. Klingt ein klein bisschen nach mir. Allerdings wusel ich oft verschroben vor mir her und es betrifft keine anderen. Und hier betrifft es meinen Sohn.Denn ich habe den Überblick verloren und verziere meinen Nachmittag mit unendlichen Debatten über Hausaufgaben. Und mein Sohn verliert den Anschluss, weil die Erklärungen für ihn unklar sind. Es scheint momentan so, als wäre sie nicht in der Lage andere Erklärungen und Herangehensweisen zu geben. So ein bisschen: Warum ist die Banane krumm? Antwort: Darum!

Nun ist es so, dass ich und mein Muttertier uns bereits die zweite Woche hineingesteigert haben. Obwohl wir vor drei Wochen noch einen Elternabend hatten, in dem es hieß, man solle Wochenpläne nicht so streng sehen. Hausaufgaben werden nur in der Schule gemacht. Am Wochenende sollen die Schulsachen in der Tasche bleiben. Und in den Ferien auch.

Klingt gut? Ja, durchaus. Da schwanken also ein paar zufriedene Eltern ob ihrer Informationen aus dem Klassenzimmer und bekommen keine zwei Tage später einen Wochenplan geliefert, der sich gewaschen hat. 17 Din A Seiten. „Und wenn daheim etwas gemacht werden muss, dann aber nur 20 Minuten bitte!“ Schon bei meinem ersten Blick spürte ich wie sich das Tier ein klein wenig in mir regte und sich wach räkelte. Das wurde von mir erstmal unterdrückt. Das schlimmste für mich wäre der Titel „Typische Prenzl Berg-Mama“, die mit ihrem ausgepackten Muttertier immer an der Leine ohne Maulkorb Gassi geht. Und ich begnügte mich mit dem Gedanken und einem sarkastischen Auflachen: Woher haben die anderen Eltern die zusätzlichen zehn Tage in der Woche?

Nun, nach zwei unrealisierbaren Wochenplänen sind wir so weit, dass ich das „Prenzl’Berger Weib“ fast nicht mehr im Zaum halten kann. Und die ganze Schule am liebsten mit siedend heißem Latte Macchiato gefüllten To Go – Bechern bewerfen möchte! So kam dann auch die glorreiche Idee, in Gedanken die Schule alles nennen zu wollen, wie ich es schon vor über 25 Jahren benannt habe. Und bin froh, dass mein Mann mit aller Kraft die Kette stramm hält. Obwohl er mit seinen Fersen bereits tiefe Kuhlen in unseren abgeschliffenen Dielen hinterlässt.

Beim Schulchaos ist für eine Mama der Weg nicht weit vom Superhelden zum Hulk.

Und bei aller mütterlicher Tollwut muss ich mir auch klar machen, dass wir Eltern ebenfalls, wenn nicht noch mehr, dafür sorgen, dass dieses vermaledeite Leistungsniveau und -Denken bei unseren Kindern immer weiter angehoben wird.

Das wurde bei dem Elternabend genauso klar. Da gibt es einfach Eltern, bei denen schon bei den Presswehen klar war, der geht mal aufs Gymnasium! Und Menschen die schon so zielstrebig sind, was ja auch Vorteile haben kann, die sind natürlich auch durchsetzungsstark. Denn das Ziel muss ja erreicht werden. Komme was wolle.

Und dann komme ich! „Mein Großer ist doch noch ein Kind. Weiß ich doch noch nicht, ob er aufs Gymnasium geht. Muss doch erstmal sehen, wie er Schule so findet. Vielleicht ist das gar nicht so sein Ding. Die Menschen gibt es doch auch. Die sind halt eher praktisch begabt. Die finden doch auch ihren Weg. Klar, soll er lernen, aber ohne Peitsche. Nur mit viel Unterstützung. ….“ Und so weiter. Mittlerweile möchte ich mich in das „Zebra-Heft“ verbeißen und die Seiten mit Ketchup essen. Meinen ganzen Idealismus schmiere ich dazu auf ein Butterbrot.

Das schlimme ist, er kann alles. Ist aber so ein musischer und ästhetischer Typ, dass er bei jedem Buchstaben, der nicht ganz genau nach seiner inneren Vorstellung „gemalt“ ist, einen 30 minütigen Nervenzusammenbruch bekommt. Ich versuche mir nun einfach immer nur wie ein Mantra zu sagen: „So lange er sich kein Ohr abschneidet, ist alles gut!“ Allerdings sind dann die angegebenen 20 Minuten recht schnell um. Und die halbausgefüllte Seite starrt mich vorwurfsvoll an.

Aber hier sind wir bei dem Punkt liebe leistungsorientierten Eltern, die das Niveau der ersten Klasse auf das eines abiturvorbereitenden Jahrgangs angehoben haben. Nein! Mein Großer wird kein Schnellrechner, kein Schnellschreiber und auch so kein Akkordarbeiter. Das steht fest. Aber er bekommt so, wie das läuft keine Chance irgendwann einmal Philosophie, Kunst, Musik oder von mir aus Grafikdesign zu studieren. Weil er schon jetzt, trotz vollfunktionierendem Denkapparat nicht nach Schema F abliefern kann. Ich weiß, ich weiß, wahrscheinlich sagt ihr jetzt: Dann muss er das lernen. Vielleicht. Ein bisschen. Aber wenn ich die Kinder sehe, die nach einem guten Halbjahr und mit sechs Jahren!! schon sagen: Schule ist doof und ich habe keine Lust mehr! Denen kann man dann irgendwann auch schwer das „abliefern“ beibringen. Denn da kann ich mich noch an meine Jugend erinnern. Darauf folgt meistens nur Boykott.

Außerdem, haben wir nicht solche Zeiten, in denen zum Beispiel Linkshändern mit aller Strenge das schreiben mit der rechten Hand beigebracht oder Legastheniker als dumm abgestempelt wurden, hinter uns? Wo bleiben denn die ganzen gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse, wenn wir Druck machen? Da schreit man immer nach Individualität, um dann seine Kinder mit 25 weiteren in eine Klasse zu pferchen und von allen das gleiche zu verlangen. Ohne Kompromiss.

Also warum können wir den Kids nicht wenigstens die ersten zwei bis drei Klassen gönnen, um anzukommen? Sich zu finden? Ihre Talente zu finden? Ihre Stärken? Ja, und auch ihre Schwächen? Ich meine, alle Eltern lieben doch ihre Kinder. Wie kommen wir dann dazu, sie durch ihre Kindheit zu jagen, nur damit sie bald als erfolgreiches und vorzeigbares Aushängeschild für unsere „Erziehungsleistung“ stehen? Wenn sie tatsächlich den Weg ins Gymnasium einschlagen, dann hat man sicher als Elternteil noch genug Zeit, um hinterher zu sein. Wenn man denn so viel Spaß daran hat. Ansonsten sollte man sich vielleicht an manche Dinge und Anekdoten aus der eigenen Schulzeit erinnern, um vielleicht ein bisschen lockerer zu werden.

Mein Lieblingsbeispiel aus meiner Jugend ist ja meine Frage zu Mathe: „Warum machen wir das mit den Integralen, den Wurzeln und den Funktionen?“ Antwort: „Das brauchst du mal!“ Da das ein Blog ist, kann ich den langen Pfeifton und den starren Blick, den diese Art Antwort heute bei mir auslöst, nur beschreiben. Oder ich sag es mal so, wie es ist: „NOP!“

Rechenhilfen. Das kleine Legofläschchen erinnert Mama daran, dass sie nach den Aufgaben ein Glas Wein braucht!

Ich weiß zwar noch nicht, was ich genau meinem Sohn zu diesem Zeitpunkt antworten werde, aber falls er nicht Astrophysiker werden will, werde ich versuchen, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich meine Weihnachtsmann und Osterhase sind ja wenigstens lustige Gesellen, die Geschenke bringen. Aber dann sollte doch mit derartigen Verzerrungen der Realität auch schon Schluss sein.

Solche Erinnerungen müssten wir doch alle haben, oder? Man sollte aber auch die eigentlich entspannten Eltern nicht vergessen, die irgendwann in Stress kommen, weil es auch ein anderes Problem gibt.

Diese Eltern haben, wie ich, gar keine Lust ihre Kids auf Leistung zu trimmen, allerdings gibt es zu wenige Schulplätze. Kein Witz. An weiterführenden Schulen herrscht mitunter schon ein schlimmerer NC als für beliebte Studiengänge. Das heißt, auch Kinder, die gar nicht den Stress von zuhause bekommen, nach der Vierten aufs Gymnasium zu müssen, brauchen wenigstens einen Notendurchschnitt von 1,6 im letzten Halbjahreszeugnis, um nicht auf einer Warteliste zu landen. Weil es einfach verpennt wurde, das Schulsystem auszubauen. Beziehungsweise dafür zu sorgen, dass genügend Schulen am Start sind.

Darf ich sagen, wie ich die ganze Situation finde? Ziemlich krank! Da bleibt nur die Hoffnung, dass mit erkanntem Problem etwas im Schul(aus)bau passiert. Ok, ich denke jetzt nicht an unseren Flughafen! Ein weiteres Mantra, das ich nun immer vor mich her blubbere. Um nicht vollkommen im Dreieck zu kreisen, gehe ich jetzt mit meinem Sohn aus Überzeugung (er ist in der ersten Klasse!) und Protest (die spinnen doch alle!) nach der Schule auf den Spielplatz. Wegen der Bewegung. Da wir den Wochenplan eh‘ nicht schaffen, sage ich mir, sorge ich erst einmal dafür, dass mein Kind nicht aufgrund von Bewegungsmangel und zu vielem Sitzen Haltungsschäden und dergleichen davon trägt. Das ist nämlich leider auch etwas, was wir unseren Kids durch unsere Lern-Leistungsliebe angetan haben. Während er draußen tobt, versuche ich die frische Luft zu genießen, tief durchzuatmen und meine „Schulzeit 2.0“ nicht furchtbarer zu finden, als die Zeiten, in denen ich selbst die Schulbank drücken musste.

Mein Mann bittet jetzt erst einmal die wirklich nette Lehrerin um ein persönliches Gespräch. Ich darf mit. Davor geh ich aber auf jeden Fall noch aufs Trampolin. Wegen der Endorphine.

Meinen Sohn werde ich wohl, auch nach dem Gespräch, für seine Glückshormone noch ein paar Bäume hochschicken. Danach schaue ich mir mit ihm gerne gemeinsam noch für zwanzig Minuten an, was machbar ist. Auch wenn er in der Zeit nur ein einziges, aber dafür wunderschönes, kalligraphisch perfektes Wort von vier Buchstaben zaubert. Irgendeine Mutter muss ja mal anfangen den Stress rauszunehmen. Da fängt man ja bekanntlich immer am besten bei sich selbst an.

In diesem Sinne freue ich mich auf euch. Ob als Leser oder Teilnehmer.


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