Große Kinder

Ich spreche jetzt nicht von meinem Sohn, der ja auch schon ganz schön groß ist. Finde ich. Nee, ich meine die ganz großen! Jungs! Männer! Auf einer Zugfahrt traf ich für mehrere Stunden auf eine ganze Gruppe dieser ganz speziellen Exemplare. Also soll jetzt nicht heißen, dass ich alle Männer in diesem Sinne speziell finde. Ok, bevor mir mein Mann einen Strick dreht. Andere finde ich positiv „speziell“. Besonders natürlich ihn. Aber in diesem Falle, so als Mutter eines Sohnes und in der geistigen Lage zu erkennen, dass, wenn die „Jungs“ keinen Ton von sich gegeben hätten, nicht weiter durch ihr äußerliches Aussehen aufgefallen wären, kam mir doch der Gedanken: … Erstaunlich! Oder um es mit Spock‘s Worten zu sagen: Faszinierend! Denn sie redeten. Und das war wohl das Problem.

Mal vorneweg, wir sind ja alle unterschiedlich. Und klar ist, auch Mann ist nicht gleich Mann. Das doofe Venus- und Mars-Ding, das besagt, dass Frauen und Männer eh ganz schön große verbale Schwierigkeiten und damit verheerende Verständnisdefizite haben, lassen wir jetzt mal ganz außer Acht.

Also gut, diese besagte Gruppe betrat schon jeweils mit einer Bierflasche bestückt das Großraumabteil. Neben mir saß auch ein Mann. Möchte ich nicht unerwähnt lassen. Weil hier kommen wir zum besagten Mann ist nicht gleich Mann. Denn auch er zuckte nervös, als sich das lustige Grüppchen entschied, den Vierer-Platz vor uns zu belegen. Das sagt ja schon viel aus. Finde ich. Das allgemeine Zucken aller Umsitzenden werde ich nun auch nicht konkreter beschreiben. Auch nicht das allgemeine Luftanhalten, wenn der Zug hielt. Leute einstiegen und kurz orientierungslos, neben dem Viererplatz hielten und abwechselnd auf ihr Ticket und die Platznummern starrten. Und das lautlos seufzen, wenn sie weitergingen. Das bedarf, denke ich keiner Beschreibung. Wahrscheinlich kennen wir alle eine ähnliche Situation.

Lustig und ja, auch interessant fand ich, dass ich das Gefühl bekam, die Vier seien ausschließlich körperlich weiter gewachsen. Bestätigt wurde das irgendwie auch durch die Reaktion des unfreiwilligen Umfelds. Die meisten Personen gaben sich non-verbal so, als wäre eine Ausflugsgruppe Drittklässler in die eh schon volle Bahn zugestiegen. Also bemerkten wohl viele die „Wachstumsdysbalance“. Was noch erstaunlicher für mich war – immerhin bin ich ja erst seit sechs Jahren Mutter eines Sohnes und davon konnte er, na ja, wenigstens ein Jahr gar nicht und später nur sporadisch sprechen -, dass ich das Gefühl bekam, den Wortlaut kenne ich annähernd. Und zwar, wenn mein Sechsjähriger mit seinen Kumpels spielt. Und dabei vergisst, dass ich ihn zwar, wenn ich in einem anderen Raum verweile nicht sehen, aber trotzdem hören kann. Jetzt muss ich einwenden, dass ich dieses kindliche „krass“, „cool“, „Alter!“ und mit unter „geil“ nach dieser Fahrt, gar nicht mehr so verschreckend finde. Allerdings weiß ich als Mama jetzt, ich muss versuchen, dass er in 20-25 Jahren nicht immer noch so spricht. Eine kleine Gänsehaut krepelte sich über meinen Nacken. Vor allem da der Vierertrupp nicht nur krass und cool im Wortschatz hatten, sondern verbal auch noch derber um sich schlugen.

Wohl auch Helden liegen sprachlich mal daneben.

Meine große Hoffnung ist da mein Mann. Wobei ich zugeben muss, dass ich auch ein wenig überlegt habe, ob ich mich vielleicht auch mal heimlich auf einen Sitz hinter ihm schleichen muss, wenn er mit Freunden Zug fahren sollte?! Ok, nein. Er hat es tatsächlich im Griff. Denke und hoffe ich.

Warum ich auf ihn komme? Ich glaube, dass man als Eltern sicher gemeinsam Sprache vor und mit seinen Kindern reflektieren kann. Aber gerade als Mami seh ich ein Bild vor mir, wie ich mit erhobenem Zeigefinger da stehe und sage: Du, du, du, so was sagt man aber nicht! Oder: Wie sprichst du denn? Klar, auch ich kann ihm sicher Sprache vorleben. Dennoch denke ich, kommt mein Großer wahrscheinlich mal an den Punkt, an dem es ganz gut ist, dass er ein männliches, sprachliches Vorbild hat.

Hiermit möchte ich jetzt nicht sagen, dass jeder Junge, der nur mit Frauen aufwächst, verloren hat. Gerade wir Frauen sind ja die Kommunikationsprofis schlechthin! Es geht eher darum, dass ich bei mir bemerke, dass ich manchmal schon von dem Gerangel der Jungs überfordert bin. Ich kann damit nicht richtig umgehen. Während mein Mann daneben steht und sagt: Die tun nichts!

Aha! Für mich sieht das aus als machen sie sich gleich platt. Und will natürlich am liebsten einschreiten. Zwinge mich aber am Spielplatzrand zu stehen, weil mir bewusst ist, dass ich dieses Verhalten auch schon mal bei jungen Hunden oder in einer Doku bei anderen putzigen Tierchen, wie Löwen, Bullen und so weiter, gesehen habe. Und mein Mann sicher recht hat. Das kennt er ja sicherlich aus seiner eigenen Kindheit. Also krampfen sich meine Hände um die Spielplatzbank, ich atme stoßweise als würde ich spontan ein drittes Kind bekommen und versuche mir nicht auszumalen, wo der Stock, der Stein, der Tritt und der Sand landen könnte. Während mein Mann, lässig die eine Hand in der Hosentasche und die andere um ein Erfrischungsgetränk in ein Gespräch mit einem anderen Vater vertieft, mit entspanntem Blick die Szene beobachtet. Ich bin froh, dass er da ist. Er vermittelt mir Ruhe und ja, das Gefühl: ist nicht so schlimm.

So kommt es, dass ich auch glaube, dass ich ebenso manchmal beim männlichen Sprachschatz verzweifle. Ich war halt ein Mädchen. Und bei mir war alles nicht so „krass“ oder so. Da kommt dann vielleicht aus Unverständnis der Zeigefinger, wie oben beschrieben. Ich glaube mein Mann hat da mehr wahres Verständnis. Er hat das sicher ja auch durch. Diesen sprachlichen Coolness-Stress. Ich bin mir sicher wahres Verstehen und Verständnis kann mehr bringen als eine Mutter, die denkt, wie spricht er denn! Und oberflächlich locker tut. Tief drin aber leicht geschockt ist. Ich glaube, mein Sohn merkt das. Klar, darf ich mich hier nicht allein auf seinen Vater verlassen. Aber der gibt mir tatsächlich die Überzeugung, mein Sohn hat eine verbale Chance, wenn er aus dem gröbsten, also aus der Pubertät und vielleicht noch aus den frühen Zwanzigern, raus ist.

Heute noch wilde Rasselband. Später mal hoffentlich Rasselbande mit Wortschatz.

Eigentlich finde ich es ja gut, dass sich Männer ein wenig ihre Kindheit erhalten. Sonst hätten wir Mädels ja weit weniger Spaß und könnten auch nicht so oft betroffen mit den Augen rollen. Erst kürzlich kamen ein paar Freundinnen und ich nach einem ausgiebigen Plausch auf das kurze Resumee: Überall gleich! Aber sprachlich, muss ich gestehen, ist das dumpfe kindgebliebene ein echter Abtörn. Wenn ich bei meinem 6 jährigen noch denke, wo hat er das schon wieder her? Will ich das bei einem über 30 jährigen gar nicht mehr wissen, sondern denke nur: Quatsch mich bloß nicht an! Und das sag ich. Die, die sich lange sagen lassen musste, sie klinge wie ein Seemann. Das übrigens von meinem Mann. Durch ihn und mit Kind Nummer Eins wurde ich bedachter. Und nun nach meiner Zugfahrt weiß ich auch warum. Und bin ziemlich froh darüber.

„Mann“ stelle sich vor, so eine Frauengruppe säße vor einem und würde mit derben Sprüchen den Rest der Passagiere beschallen. Alter!

War natürlich nur ein Scherz. Mir hilft natürlich auch die Tatsache, dass ich in meinem Job viel mit Menschen kommunizieren muss. Und als Trainerin auf sie eingehen möchte. Das kann ich natürlich nicht, wenn ich spreche wie Popeye. In diesem Sinne freue ich mich über meine verbalen Erkenntnisse und auch auf euch. Ob als Teilnehmer oder Leser.


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